17.07.2018

Wir haben Harwich  mit dem Abendhochwasser verlassen. Das Morgenhochwasser erschien hier um 03:29 Uhr, was uns zu früh war. Dementsprechend war das abendliche Hochwasser relativ früh am Nachmittage bereits und die Zeit reichte, um bis nach Lowestorf in den Abendstunden zu gelangen. Lowestorf: liebliche Wiese! Nun ja, wir liegen zwar im Royal Norfolk & Soffolk Yachtclub, aber die Umgebung ist doch eher proletarisch, dem Arbeitsleben gewidmet! Der Liegeplatz kostet nun gleich 32 Pfund, dafür sind aber die Wasserhähne aus Marmor und die Toiletten aus purem Gold. Oder umgekehrt…

Dafür war die Küche im Club („Bitte nicht mit nasser Kleidung betreten!“) trotz dessen, dass wir die Galauniform des Hafens Gager trugen, nicht mehr für uns geöffnet! Wir behalfen uns mit Chips und Bier. Letzteres wurde von der Brauerei „Becks“ sicherlich nach langjährigem Forschen in den Zustand versetzt, dass es hier nicht als trinkbares Bier auffällt: Wässrig, 4% Alkohol, gänzlicher Verzicht auf Schaum!

Vielleicht ein paar Worte zu den Gezeiten (der wissende Leser mag diese Zeilen überspringen):

In den mondnahen Regionen der Weltmeere bilden sich durch die Anziehungskraft des uns umkreisenden Begleiters Wasserberge, welche einen mächtigen, kontinuierlichen Zu- und Abstrom der Wassermassen durch den englischen Kanal wie auch um die nördliche Spitze des Empires zur Folge haben. Da die Nordsee insbesondere küstennah relativ flach ist, entstehen so durch den Zusammenfluss dieser Ströme teilweise nur schwer kalkulierbare Bewegungen, welche es zu beachten gilt. Die Großschifffahrt, welche Geschwindigkeiten bis über 20 Knoten (20 Meilen/Stunde) erreicht, ist hiervon relativ unabhängig. Unser kleines Schiff, egal ob unter Segeln oder angetrieben durch den tapferen Perkins-Diesel, wird hierdurch erheblich in der Geschwindigkeit beeinträchtigt, muss man doch mit Stromgeschwindigkeiten bis zu 6 Knoten (und in wenigen Gebieten, wie z.B. dem Pentland Firth, mit bis zu 14 Knoten) rechnen. Somit ist das Segeln im Gezeitenmeer eine dauerhafte Rechenaufgabe, wobei es – zum Glück- die recht unkalkulierbare Variable „Wind“ noch gibt! Hinzu kommt, dass die Zahl der nutzbaren Häfen an der englischen Ostküste überschaubar ist. Manche Häfen fallen bei Niedrigwasser trocken ( da läge man dann auf der Seite im Schlamm), andere bieten nicht genug Wasser unterm Kiel für die für uns notwendigen  1,80  Meter! Dann gibt es noch Barren vor manchen Häfen, die nur bei Hochwasser zu überfahren sind und so weiter und so fort. Jeder Törn nordwärts bedarf einer gewissen Planung und der „Reeds“ avanciert zum mit Abstand meistgenutztem Buch auf dieser Reise. Dieses Standardwerk bietet Gezeitentabellen für die großen Häfen, Korrekturwerte für die Kleineren, gibt Hinweise auf die unterwegs zu erwartenden Strömungsverhältnisse entsprechend dem „Alter“ der Gezeit, wichtige Informationen zu den Häfen und vieles mehr.

Am 18.6. soll es nun weitergehen. Noch wissen wir nicht genau wohin. Aber auf jeden Fall nordwärts…

20.07.2018

Nach 2 Nächten und einem Tag auf See sind wir in  Whitby gelandet. Auf der Nordsee gelang es uns, keine der reichlich vorhandenen Bohrinseln zu versenken und auch die Großschifffahrt wurde nicht zu sehr von uns gestört. Der Wind war mäßig, darum dauerte es doch recht lange, die ca 160 Meilen zu bewältigen. Aber wir haben ja Zeit und haben das entspannte Segeln genossen. Während in Lowestorf der Verfall überall zu spüren war, ist Whitby eine kleine verwinkelte Stadt mit wunderschönen Gebäuden und ständig sichtbarer maritimer Tradition. Der große Sohn der Stadt, James Cook, ist allgegenwärtig. Nachdem wir pflichtgemäß die Sehenswürdigkeiten abgearbeitet haben, verzogen wir uns in einen Pub und erlebten englische Lebensfreude am Freitag-Abend. Eine Band älterer Herren spielte 60er-Jahre-Musik und der Saal tobte. Wir tobten mit und fielen darum nicht weiter auf. Morgen ziehen wir weiter gen Norden. Der Plan ist, England zu umrunden. Auf den Orkneys werden wir die befreundete Crew der Filou aus Gager treffen und so müssen wir uns an ein paar zeitliche Rahmendaten halten.

23.07.2018

Nachdem wir von Blyth und Sunderland nicht so angetan waren wurden wir nun von einem ganz wunderbaren Ort empfangen. Holy Island! Eine Insel mit einem ganz besonderem Spirit. Aber der Reihe nach. Nachdem wir in Blyth um 10:00 Uhr ablegen, haben wir 37 sm vor uns, um zum nächsten Zielort zu gelangen. Die Fahrt ist mit angenehmen Wind, einer Durchnittsgeschwindigkeit von 6 Knoten und sommerlichen Temperaturen , sehr gut zu meistern. Die Windsteuerung übernimmt die Arbeit, wir genießen die Sonne.
Eine schmale Durchfahrt, umrahmt von langgezogenen Sandbänken, verlangt kurz vor dem Ziel allerdings nochmal unsere volle Aufmerksamkeit. Dann erreichen wir unsere Ankerbucht. Das erste Mal ankern auf dieser Reise. Immer wieder ein spannendes Ereignis , mit der Frage, wird der Anker halten? Wir Glückspilze! Gleich der erste Versuch ein Erfolg. Wir schauen uns glücklich an und feiern das Ergebnis mit einem Glas Wein. Dann wartet Arbeit auf uns. Das Dingi muss aufgepumpt und Bodenbretter eingelegt werden, um es dann ins Wasser zu lassen. Unsere Freunde, Familie Töpfer, warten auf der Insel, um von uns abgeholt zu werden. Somit wird schnell an Land gepaddelt, die Freunde werden eingesammelt und zurück aufs Boot gebracht. Hier genießen wir einen schönen lauen Abend in vertrauter Runde. Später paddeln wir unsere Freunde zurück, nehmen noch ein Abschiedsbier in der Kneipe und verabreden uns für den nächsten Tag, um die Insel gemeinsam zu erkunden.
Wach werden wir durch lautes Geschnaufe und Geschrei. Wir schauen vorsichtig und etwas verunsichert (voller Angst) aus dem Cockpit und entdecken dutzende Seehunde, die prustend und schnaufend um unser Boot schwimmen. Was für ein Anblick!
Schnell Sachen zusammengesammelt steigen wir ins Dingi und paddeln, begleitet von einigen Seehunden, zur Insel. Wir scheinen für die Seehunde eine willkommene Abwechslung zu sein. Mit großer Freude strecken sie ihre Köpfe vor uns aus dem Wasser, Mustern uns von allen Seiten und tauchen wieder ab. Wahrscheinlich sieht so ein Zoobesuch für Seehunde aus.
Von Familie Töpfers werden wir auf der Insel schon erwartet. Gemeinsam geht es auf Entdeckungstour.
Holy Island auch Lindisfarne genannt, begeistert uns mit einer wunderschönen Kirche, einer Klosterruine und einem Burgschloß. Wir umwandern die Insel, die wie ein Dreieck geformt und mit hügeligen Wiesen und kleinen Feldern bestückt ist. Es gibt 60 Einwohner. Ein kleiner Garten, mit einer vielfältigen Blumenpracht hat es uns besonders angetan. Pausen gönnen wir uns in hiesigen Cafés und verbringen so einen großartigen Tag. Holy Island ist bei Niedrigwasser keine Insel mehr, da sie zu diesem Zeitpunkt durch eine Sandstraße mit dem Festland verbunden ist und mit dem Auto dann befahren werden kann. Somit ist die Zeit mit unseren Freunden und damit auch der verbundene Abschied vorgegeben, denn die Beiden müssen mit ihrem Camper zurück aufs Festland. Wir winken dem roten Campingbus lange hinterher, der Abschied macht uns wehmütig.
Zurück an Bord heben wir das Dingi aus dem Wasser, machen alles seefest, lichten den Anker und verlassen diesen wirklich besonderen Ort. Zwei reizende, typisch englische Damen, mit denen wir am Vortage ins Gespräch kamen, haben recht behalten. „The island has spirit.“
Es ist 17:00 Uhr. Esmeralda ist wieder unterwegs. Vor uns liegen 110 sm. Wir freuen uns nun auf Peterhead – Schottland.

25.07.2018

Ein Brausen erhob sich aus der Takelage und der Ruf erschallte: „Fahret hin nach `Holy Islands´!“ Wir taten es und taten wohl daran: Schönheit, wilde Natur und gute Menschen dort! Der Ruf erschallte wiederum: „Fahret hin nach `Peterhead´!“ Nun ja, wir taten es wieder, jedoch waren dort tüchtige Menschen am Werke, welche am Tage wie auch in der Nacht den Schmiedehammer schwangen und die Fuhrwerke lautstark antrieben. Es herrschte so viel Handel und Wandel, dass wir eine halbe Stunde vor dem Hafen warten mussten, bis man das Tor öffnete! Wir zogen hinein und fanden, sicher auch wegen der beschwerlichen Reise über einen Tag und eine Nacht, hier unsere Ruhe.

ABER: Was jetzt die Feierlichkeiten bezüglich unseres Eintreffens angeht, hat doch Schottland nunmehr die Latte sehr hoch gelegt: Über Peterhead kreisten Düsenjäger im tollkühnen Staffelflug und malten mit Rauchfahnen bunte Bilder an den Himmel (siehe Bilddokumentation). Wir freuten uns und waren froh, dass anscheinend keiner dieser tapferen  Männer (?) vom Himmel fiel. Ob dies nun von den folgenden Ländern überboten werden kann? Die Ruf geht von hier aus schon einmal an Irland, sich in diese schöne Begrüßungstradition einzureihen! Wir sind sehr gespannt.

Aus dem Hafen durften wir übrigens ohne übertriebene Wartezeit wieder heraus. Jetzt tut die Windsteuerung still ihr Werk und wir rauschen den Orkneys entgegen…

31.07.2018

Die Orkney´s empfangen uns mit Gewitter. Mit Gewitter und starkem Regen. Trotzdem legen wir am 27.7. gegen Mittag wohlbehalten, aber sehr müde, in Kirkwall an. Die Nacht war sehr unruhig gewesen: Das Boot rollte stark bei kräftigem achterlichen Wind, so dass der Nichtwachhabende kaum zum Schlafen kam. Die Sportfreunde vom Segelschiff Filou legten, von Dänemark kommend, bereits am Morgen an. Wir sind froh, dass sie die Nordseequerung gut überstanden haben. Es gibt ein gemeinsames Frühstück, danach wird geschlafen.

Da der Wetterbericht für Sonnabend Dauerregen prophezeit und am Sonntag Starkwind angesagt ist, mieten wir gemeinsam ein Auto und erkunden die Hauptinsel! Neben einer Führung in der Whiskybrennerei „Scapa“, besuchen wir steinzeitliche Ausgrabungen, dann noch steinzeitliche Ausgrabungen und zum Schluss steinzeitliche Ausgrabungen. Es gibt nur wenige geschichtliche Zeugen für den Zeitraum zwischen der Steinzeit und der Beinahe-Jetztzeit.

Wir stehen nachdenklich an der Bucht Scapa Flow, wo  nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg die Reste der deutsche Flotte interniert waren. Diese versenkte sich hier eigenständig im Jahre l9l9. Noch heute liegen Wracks in großer Tiefe. Nur Wenige wurden gehoben.

Um diese „Schande“ wettzumachen, wurde auf Befehl der Heeresleitung Günter Prien im Oktober 1939, also kurz nach Kriegsbeginn, mit seinem U-Boot U47 nach Scapa Flow geschickt, welcher hier die „Royal Oak“ versenkte und auch wieder entkommen konnte. Über 800 Seeleute fanden den Tod! Das Wrack liegt noch heute auf dem Grunde des Meeres.

Um  zukünftig U-Bootangriffe hier zu verhindern, befahl Churchill den Bau von Barrieren: Anfänglich wurden Schiffe in den Zugängen zu Scapa Flow versenkt, später mussten italienische Kriegsgefangene Dämme zwischen den Inseln bauen. So kann man heute mit dem Auto die südlichen Inseln der Orkney´s über diese Dämme befahren.

Während die Inseln bei Regen und Nebel nur grau in grau wirken, entsteht bei auch mal vorherrschendem Sonnenschein ein mediterranes Ambiente. Palmen, Aloe-Gewächse und durchaus auch Blumen.

Am 30.7. legen wir bei immer noch kräftigen Winden über 20 Knoten in Kirkwall ab und quetschen uns, nur mit gereffter Genua bekleidet, durch die engen Wasserwege zwischen den Inseln ins offene Meer. Der mitschiebende Gezeitenstrom lässt  Geschwindigkeiten teilweise im zweistelligen Bereich aufkommen; das Wasser wirft sich manchmal in Form von chaotisch querschlagenden Wellen auf. Wir erreichen am Abend Stromness, welches bei Sonne am Hang liegend regelrecht lieblich erscheint. Heute nun wollen wir die Orkney´s verlassen und südwestlich zu den äußeren Hebriden aufbrechen.