Argentinien

03.01. – 22.01.22    immer noch Ushuaia

In den letzten Tagen hat sich doch etwas getan in Hinsicht auf die Einreise nach Chile. Tatsächlich konnte uns ein fast jugendlicher Mitarbeiter der in einer Schule amtierenden Impfkolonne einen QR-Code für die bisherigen beiden Impfungen zusammenbasteln.  Für Ausländer ohne Steuernummer eigentlich unmöglich! Wir schauen gebannt dem jungen Mann zu, wie er auf seinem Mobiltelefon herumwischt und Daten eingibt. Und dann haben wir tatsächlich per mail den gewünschten Code auf dem Fernsprechgerät.

Nun können wir online den sogenannten Mobilitätspass für Chile beantragen, welchen wir dann auch wenige Tage später bekommen. Trotzdem wissen wir nicht, ob eine Einreise in das Nachbarland möglich ist. Der „Einreisehafen“ Puerto Williams ist noch immer geschlossen und die Einreise auf dem Seeweg eigentlich nicht möglich. Sehr konkrete Anfragen per Mail bei der Kapitania des Hafens werden regelmäßig mit gleichlautenden Serienbriefen beantwortet, was uns nun auch nicht schlauer macht. So wird der Beschluss gefasst, am 23.1. abzulegen und freundlich an der Hafeneinfahrt von Puerto Williams anzuklopfen. Mal sehen, was passiert.

Zuvor müssen aber noch so einige Dinge abgearbeitet werden. Neben kleineren und größeren Instandhaltungsreparaturen (der übliche Kram)

muss vor allem Nahrung erstanden und in den Tiefen des Schiffes versenkt werden. Puerto Williams ist eher ein Dorf mit sehr begrenzten Einkaufmöglichkeiten und die danach folgenden Kanäle sind zwar landschaftlich wohl wunderschön (Gletscher, Berge, Natur), jedoch kaum besiedelt. Keine Einkaufsmöglichkeiten!

Leider muss man sich auch auf längere Motorfahrten einstellen. Der Wind wird auf den kommenden 2000 Meilen bis Puerto Montt in der Regel von vorne kommen. Da die Tankmöglichkeiten auch rar sind, besorgen wir uns noch eine größere Zahl Kanister, so dass wir neben den 325 Litern im Tank auch noch 260 Liter Diesel auf dem Deck mitführen. Hoffentlich reicht es!

Und jetzt folgt noch das letzte große argentinische Abenteuer: der entsetzliche Behördenkram. Wir hatten vor ein paar Tagen schon einmal bei der Immigrationsstelle vorgefühlt, was uns so erwarten wird. Der aufmerksame Leser wird sich sicher noch erinnern, dass unser Visum in Puerto Deseado abgelaufen war und man uns somit mit einem Ausreisestempel in die weite Welt hinausgeschickt hatte. Glücklicherweise stießen wir jetzt hier auf einen sehr freundlichen und kompetenten Mitarbeiter, welcher sich der Sache annimmt und bei unserem 2. Besuch am 22.1. bekommen wir in kürzester Zeit unseren Stempel. Auch von der mal angedrohten Strafe von je 12500 Pesos pro Person (ca. 55 Euro) ist nun keine Rede mehr. Zuvor waren wir noch beim Corona-Antigentest, welcher vermutlich für die Einreise in Chile nötig ist. Negativ! Also positiv für uns. Ein gut gelauntes Test-Team in einer fast leeren Turnhalle (zum Glück kaum Kundschaft) stopft uns die Wattetupfer in die Nase und übt sich an deutschen Vokabeln. Immer wieder fällt uns auf, wie positiv die Menschen trotz aller wirtschaftlicher und pandemischer Probleme eingestellt sind.

Nach der Immigrationsbehörde geht es noch schnell zum Zoll und (nicht so schnell) zu unseren Freunden von der Prefectura. Nach einigen Formularen und eine Stunde später ist auch das geschafft. WIR KÖNNEN WEITER!

04.12.2021 – 02.01.2022  Ushuaia

Nach den vielen Tagen mit eingeschränkten sozialen Kontakten gewöhnen wir uns wieder an den Trubel einer recht touristischen Stadt. Unsere Nachbaren, Julia-eine Amerikanerin- und Hector – ein Chilene, der nach dem Militärputsch als Kind aus dem Lande fliehen musste- sind uns dabei eine große Hilfe. Die Beiden sind schon seit Monaten in Ushuaia und kennen sich hier bestens aus. Wir unternehmen viel gemeinsam und lernen schnell die schönsten Restaurants der Stadt kennen. Außerdem hat Hector eine robuste Segel-Nähmaschine und hilft beim Reparieren der arg beanspruchten Sturmfock. Wir sind sehr traurig, dass Julia über die Feiertage bald in die amerikanische Heimat ausfliegt und Hector mit dem Boot nach Puerto Williams ablegt um dort Reparaturen vorzunehmen. Für ihn als Chilenen visumstechnisch ein lösbares Problem.

Nun trudeln auch allmählich unsere deutschen und schweizer Freunde ein. Wir hatten uns zuletzt in Santos gesehen, standen aber immer in Kontakt miteinander. Zuerst taucht Tom auf. Mit den letzten Tropfen Diesel erreicht er den sicheren Hafen. Res und Tommy biegen bereits im zu Chile gehörenden Puerto Williams ab in der Hoffnung, dort an etwas Diesel zu gelangen. Für den Beagle-Kanal hat man sich auf überwiegend westliche Winde (und dies dann auch noch in zumeist übertriebener Stärke) geeinigt, so dass es schwer ist, unter Segeln voranzukommen. Wir haben es mehrfach versucht: Der zusätzlich östlich setzende Strom, die vielen Untiefen und Inseln… Irgendwann findet sich die Hand des Skippers am Anlasser des Motors um doch noch mal gelegentlich anzukommen. Aber da es keine reale Möglichkeit gibt, südlich von Puerto Deseado und nördlich von Ushuaia Diesel zu tanken, wird es dann meist eng in Bezug auf die Treibstoffvorräte.

Na, jedenfalls sind wir dann irgendwann vereint und haben viel Freude aneinander. Gemeinsame Ausflüge, gemeinsames Kochen, gemeinsamer Frühsport!

Wir mieten uns ein Auto und erkunden die wunderschöne Landschaft östlich von Ushuaia. Immer wieder beeindrucken uns traumhafte Ausblicke über Seen und Wälder auf die schneebedeckten Berge.

Die Wanderung zur Laguna Esmeralda ist natürlich eine Pflichtveranstaltung für uns. Leider hatten noch viele andere Bergwanderer die gleiche Idee, so dass der Aufstieg teilweise unter Nichteinhaltung der Abstandsregeln erfolgen musste. Für den Abstieg finden wir eine Alternativroute. Einsamkeit erkaufen wir uns mit nassen Füßen. Das Gebiet ist sumpfig und mehrfach müssen Bäche überwunden werden. Die reichlich hier lebenden Biber haben jedoch dankenswerterweise auch reichlich Dämme gebaut, so dass wir auf ein Bad verzichten konnten.

Wir machen einen Ausflug in den Nationalpark westlich von Ushuaia direkt an der chilenischen Grenze. Leider bekommen wir den versprochenen Kondor nicht zu sehen, dafür aber wieder Seen, Wälder, Berge…

Mit den Dinghies machen wir den obligatorischen Grillausflug zu den ca. 7 Meilen entfernten Bridges-Inseln. Das Wetter ist mal fast sommerlich und so sind auch noch viele lokale Segler auf der kleinen Insel. Eine Tradition, wie wir erfuhren! Auf der Rücktour streikt leider der Außenborder unseres Dinghys (Vergaser verdreckt), zum Glück kann uns aber Tom mit seinem etwas PS-stärkeren Motor wieder zurück schleppen.

Alle haben nebenher kleinere und größere Reparaturen an den Booten zu erledigen. Die windreiche Passage von Puerto Deseado bis hierher fordert ihren Tribut. Schön ist, dass man in Ushuaia viele lang gesuchten Ersatzteile finden kann, wenn denn auch der Gang von einem kleinen Lädchen zum Nächsten tagesfüllende Aufgaben darstellen.

Interessant ist auch in Argentinien immer die Frage, wie man günstig an die Landeswährung kommen kann. Mittlerweile ist der von der Inflation gebeutelte Peso offiziell nur noch 1 Dollar-Cent wert, inoffiziell jedoch sogar nur 0,5 Dollar-Cent. Holt man sich das Geld am Automaten, wird der Kunde nicht nur mit dem schlechten Tauschkurs, sondern auch noch mit exorbitanten Gebühren bestraft. Bisher haben wir Geld auf mehr oder minder legalem Wege über Privatpersonen bezogen. Jetzt tut sich ein neuer Weg auf: Man kann sich selbst über Western Union Geld schicken und bekommt dies tatsächlich zum günstigen Kurs von 1:200 legal ausgezahlt. Wie das eigentlich funktioniert, bleibt offen. Interessiert uns nicht.

Nun wird es auch langsam Zeit, die wirklich wichtigen Fragen des Lebens zu klären: Wie wollen wir Weihnachten gestalten? Eine eilig gegründete Sonderkommission beschließt, dass insbesondere kulinarische Höhepunkte die Feiertage zu einem herausragenden Erlebnis gestalten sollen. So wird am 24. gemeinsam auf dem Segelschiff Esmeralda gekocht und später dieses Festmahl auf der geräumigeren „Que mas“ zelebriert.  Der neugierige Leser fragt sich jetzt sicherlich, was denn da nun mit solchem Brimborium und den bescheidenen Mitteln eines immer zu kleinen Segelbootes entstanden ist? Also: Es gab Rotkohl, Karotten (Schweiz: Rübli, Bremen: Wurzeln), Thüringer Klöße und einen Rinderbraten mit passender Soße und natürlich passenden Malbec-Rotwein. Zum Nachtisch dann eine Mousse au Chocolat. Wunderbar!

Der nächste Tag bringt dann beim argentinientypischen Barbecue auf dem Steg viele interessante Menschen zusammen. Urka, unser immer gut gelaunter, von den Osterinseln stammender Hafenmeister, hat jetzt die Aufgabe übernommen, die aus allen Ecken der Welt auftauchenden hungrigen Gäste zu sättigen und schafft es auch noch nebenher, mit vielen lustige Geschichten alle zu unterhalten.

Da sich dieses Vorgehen gut bewährt hat, wird der letzte Tag des Jahres ebenso gestaltet. Diesmal genießen wir ein schweizer Käsefondue und anschließend selbstgebackenen Pflaumenkuchen. Danach wechseln wir zu Urkas Grillparty und erleben einen stillen Jahreswechsel. Kein Feuerwerk, keine Böller; lediglich die Großschifffahrt macht durch Tröten den rechten Moment erkennbar. Dies findet ungeteilte Zustimmung durch die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda! Auch gegen Mitternacht ist es noch nicht vollständig dunkel. Ein fahler Lichtschein ist am Horizont zu erkennen, was für uns recht ungewohnt ist.

„Und das Wetter? Wie ist das Wetter dort unten?“ schallt es vielstimmig aus dem Auditorium. Wechselnd! Binnen kürzester Zeit wird in der Wetterzentrale von Sonne auf Regen umgeschaltet, manchmal hat man diese Phänomene auch gleichzeitig. Immer wieder krempelt der Wind die Hemdärmel hoch und macht sich an die Arbeit. Selten sind die Temperaturen im zweistelligen Bereich und heute erreichte das Barometer sein bisherigen Rekordtiefstand von 965 hPa. Die Begleitmusik dazu ist das ewige nervtötende Heulen im Rigg. Geschneit hat es auch.

Nun wird es auch langsam Zeit sich über die Weiterfahrt Gedanken zu machen. Chile hat unverändert viele Hürden gegen Einreisewillige errichtet. Die Häfen sind gesperrt und eine komplizierte Online-Coronaabfrage führt wohl zwangsläufig zu einer Ablehnung. Bei uns scheitert es an einem fehlenden QR-Code im Impfausweis. Was in Deutschland anscheinend in jeder Apotheke möglich ist (die Ausstellung einer validierten Impfbescheinigung), ist für uns jedenfalls Mission impossible. Von einer Behörde schickt man uns zur Nächsten bis wir wieder bei der ersten Instanz ankommen. Bisher ohne Erfolg (Stand 2.1.2022)! Vermutlich gibt es mal wieder keinen legalen Weg in das nächste Zielgebiet. So langsam gewöhnt man sich daran.

10.11.-03.12.2021 Feuerland

Jetzt ist es da. Unser langersehntes Wetterfenster! Wir hatten schon die Befürchtung nie loszukommen.

Jeden zweiten Tag Starkwind oder Sturm. Wir haben 420 sm vor uns, da benötigen wir 4-5 Tage angenehme Winde.

Nun sehen die Prognosen vielversprechend aus. Erst am 5 Tag ist wieder mit Starkwind zu rechnen.

Emsige Vorbereitungen prägen den letzten Tag in Puerto Deseado. Frisches Obst und Gemüse wird gekauft, wir erhalten unsere 2. Covid-19-Impfung und nehmen noch eine Einladung zum Mittagessen wahr. Im Anschluss statten wir der Prefectura einen Besuch ab. Wir wollen den Behördenkram lieber frühzeitig erledigen.

Nach einer Wartezeit von fast zwei Stunden teilte man uns mit, am heutigen Tage nichts mehr für uns tun zu können. Wir sollen  am nächsten Tag wiederkommen. Zähneknirschend verlassen wir das Gebäude. Was ist nur so schwer daran, einen Ausklarierungsstempel in unsere Pässe zu drücken???

Egal! Hochwasser ist um 7:00 Uhr.  Danach haben wir 6 Stunden Zeit um auszulaufen. Genügend Spielraum um noch ein wenig Zeit bei der Prefectura zu verbringen.

Am Abend gehen wir ein letztes Mal in der Stadt etwas Essen. Unsere liebgewonnene Roxana begleitet uns und wir verbringen einen schönen Abend zusammen.

Wir sind ein bisschen wehmütig. Hier haben wir herzensgute Menschen getroffen und großartige Freundschaften schließen können. Es war ein inniger und intensiver Kontakt, den wir so auf unserer Reise noch nicht erlebt haben.

Der Wecker reißt uns unsanft um 6:00 Uhr aus den schönsten Träumen.  Blauer Himmel, kaum Wind. Gute Bedingungen zum Ablegen. Wir räumen auf und machen das Boot  seefest.

Pünktlich zum Arbeitsbeginn der Prefectura (8:00 mas o menos)stehen wir dort vor der Tür.

Dem Leser ersparen wir nun den ausführlichen Bericht über die folgenden nervenaufreibenden, unnützen und langen Wartestunden.

Nur soviel sei erwähnt, wir haben es nicht geschafft, mit dem ablaufenden Wasser auszulaufen. Angeblich gab es ein Computerproblem bei der Immigration. Den Ausreisestempel erhielten wir erst  um 14:30 Uhr. Zu spät zum Ablegen! Längst war wieder auflaufenden Wasser. Die damit einhergehende Strömung kann eine Geschwindigkeit von 4 Knoten erreichen. Sinnlos dagegen anzukämpfen.

Kann man sich vorstellen, wie wir uns gefüllt haben?

Wut, Ärger, Nervosität und der Zeitdruck im Nacken brachten uns förmlich an den Rand der Verzweiflung.

Weitere sinnlose Wartestunden begannen, denn wir beschlossen wenigstens noch mit dem Abendhochwasser um 19:00 Uhr auszulaufen und hatten nun noch Zeit.

Durch die hier herrschenden Starkwinde und unberechenbaren Wellen ist der bevorstehende Törn für uns einer der anspruchsvollsten.

Mit Halbwind kommen wir gut und schnell in der ersten Nacht voran. Am Tage kommt keine lange Weile auf. Wechselnde Winde bescheren uns immer wieder genug zu tun. Dank Stefans Unterstützung bekamen wir jeden Tag einen detaillierten Wetterbericht über die Kurzwelle, so waren wir gut informiert. Bei Flaute, die gab es tatsächlich auch, unterstützte uns unser Perkins. Am Morgen des 3. Tages dann das erste Problem. Es kommt kein Kühlwasser! Ein bekanntes Problem mit der Seewasserpumpe tauchte wieder auf. Unsere Leser können sich sicher noch erinnern? Siehe Bericht: Überfahrt Bonnaire nach Grenada.

Dank unserer Erfahrung sitzen die Handgriffe, so ist die Pumpe schnell ausgetauscht (was ein Segen, dass eine Ersatzpumpe an Bord ist!) und das Problem behoben.

Die letzten 20 Seemeilen liegen vor uns. Es ist später Nachmittag und wir sehen schon Land. Zwar werden wir wohl bei Dunkelheit ankommen, aber die Bucht ist nicht kompliziert anzulaufen. Der Himmel bezieht sich. Dunkle Wolken ziehen auf. Der Wind frischt schnell auf und dreht auf Süd. Die Wellen werden höher und kappelig. Wir ahnen nichts Gutes. Der angekündigte Sturm setzt ein. Zu früh! Nun fehlen die Stunden, die wir bei der Prefectura ausharren mussten. Alle Möglichkeiten, wie Kreuzen unter Segeln, Kreuzen unter Segeln mit Motorunterstützung oder nur motoren, scheitern, bei dem Versuch voranzukommen. Wir kommen gegen Wind und Welle einfach nicht an. Der Wind heult im Rigg und in den Wanten. Wassermassen fluten immer wieder das Boot. Mittlerweile ist es stockdunkel und unsere Kräfte sind am Ende. Erschöpft und durchgefroren verkriechen wir uns in den Salon. Dicht aneinander gekauert versuchen wir uns zu wärmen. Autopilot und Motor bestimmen nun unser Schicksal. Wenn unser starrer Blick nicht gerade auf die Windanzeige schaut, die immer wieder bis 50 Knoten anzeigt, verfallen wir in einen kurzen, wirren Schlaf.

Als es hell wird, kehren die Lebensgeister zurück. Gerade rechtzeitig, da kurz zuvor unser Autopilot ausgestiegen ist. Ein Kabel hat sich gelöst, wie wir später feststellen.

In den letzten 24 Stunden sind wir nicht vorangekommen, konnten aber wenigstens die Distanz zum Land halten. Tatkräftig setzen wir die Sturmfock. Voller Freude bemerken wir, dass wir auf Kurs sind und vorankommen.

Am Vormittag beruhigt sich der Wind und die Wellen werden kleiner. Das Segeln wird wieder angenehmer. Einen kräftigen Hagelschauer, der uns kurz vor der Einfahrt überrascht, nehmen wir völlig emotionslos hin. Kurze Zeit später fällt der Anker in der Bahia Thetis.

Geschafft!!!

Das Eintreffen eines weiteren Segelbootes unmittelbar nach uns, versetzt uns in großes Erstaunen. Wer segelt denn bitte freiwillig, noch dazu bei diesem Wetter, bis ans Ende der Welt?

Über Funk erfahren wir etwas mehr. Es handelt sich um ein schwedisches Pärchen, kommend von Brasilien. Sie wollen nach Puerto Williams. Wir tauschen Wetterdaten aus und erfahren, dass die Beiden die guten Bedingungen am Abend nutzen wollen, um dann weiter durch die Estrecho de le Maire (Le Maire Straße) zu fahren.

Uns geht das zu schnell. Wir wollen wenigsten kurz Luft holen.

Bahia Thetis fesselt uns mit Starkwind. Vorsichtshalber legen wir noch im rechten Winkel einen Zweitanker aus. An einen Landgang ist nicht zu denken. 4 Tage erholen wir uns in völliger Einsamkeit.

Dann sind die Bedingungen gut. Winde aus Nord/ Nordwest. Ideal für uns.

Die Le Maire Straße ist nochmal eine schwierige Passage, die wir zu bewältigen haben. Der Wind und der Gezeitenstrom müssen so lange als möglich mittlaufend sein. Es liegt in der Natur der Sache, dass man den Strom nur ca. 6 Stunden mit sich hat, anschließend kippt er. Diese 6 Stunden reichen zwar bei gutem Timing meist aus um durch die Straße zu kommen, jedoch dann hat man den Strom an der Südküste gegen sich. Wir starten am Nachmittag, gut eine Stunde vor Hochwasser. Wir versuchen so weit wie möglich in die Le Maire Straße zu gelangen, bis uns schließlich der Ebbstrom durch die Meerenge zieht. Der unkontrollierbare Strom kann eine Geschwindigkeit von 8 Knoten erreichen, so fahren wir schön mittig zwischen der Isla de los Estados und dem östlichsten Ausläufer des argentinischen Teils Feuerlands.

Kaum haben wir die Straße hinter uns, kippt der Strom und wir stampfen mit voller Maschinenkraft mit ca. 1,5 Kn Geschwindigkeit gegen Strom und Wind. Um diesem zu entgehen, pausieren wir in Puerto Espanol, einer der raren Ankerplätze an der Südküste.

Eine schöne Bucht umringt von schneebedeckten Bergen. Auch hier verbringen wir, aufgrund des stürmischen Wetters, Hagel, Schneefall und Regen 4 Tage ohne an Land gehen zu können.

Wer hatte eigentlich die blöde Idee nach Feuerland zu segeln???

Beagle Kanal

Unsere erste Bucht im Beagle Kanal ist Puerto Harberton. Endlich ist es so, wie im Reisekatalog beschrieben. Windgeschützte Bucht, nicht überlaufen, traumhafter Ausblick, Landgang möglich und eine Kneipe. Nach 13 Tagen ohne Landberührung eine große Freude für uns. Schnell haben wir unser Tagesprogramm organisiert. Essen im Teehaus,Führung durch das Gelände mit anschließendem Museumsbesuch.

Wer hatte eigentlich die tolle Idee nach Feuerland zu segeln???

Die nächste Nacht in einer Bucht auf der chilenischen Seite zu verbringen, scheitert. Eine traumhafte Bucht gleich hinter Puerto Williams hatten wir uns ausgeguckt.

Es dauerte etwas bis wir kapierten, dass der Polizeiwagen mit Blaulicht am Strand wegen uns da war.

Auf eine freundliche Weise wurden wir aufgefordert, doch bitte auf die argentinische Seite zurückzukehren.

Gesagt getan, wenig später befanden wir uns in der Puerto Remolinos.

Dann sind wir endlich am Ziel. Ushuaia liegt vor uns. Die südlichste Stadt Argentiniens und der Welt. Puerto Williams liegt zwar südlicher ist aber nur als Dorf anzusehen.

Wir entscheiden uns für einen Platz am Steg der Marina.

Auf einmal haben wir wieder Strom, Wasser, heiße Duschen und wir werden nicht nass, wenn wir an Land wollen. Was für ein Glück!

Wir treffen Jakob wieder, einen alten Bekannten aus Jacaré und lernen schnell neue Menschen kennen.

Hier bleiben wir nun erst einmal bis Weihnachten.

26.10. – 09.11.2021     Puerto Deseado

Auch die weiteren Tage stehen im Zeichen wechselnden Wetters.

44 Knoten Wind ist keine Seltenheit.

Das einzig Beständige ist der fast dauerhaft herrschende Starkwind oder Sturm, wobei man fairerweise sagen muss, dass diese betrüblichen Ereignisse immer bei strahlend blauem Himmel stattfinden. (Natürlich nur am Tage, in der Nacht ist tatsächlich auch hier der Himmel eher schwarz, allerdings mit unendlich vielen Sternen übersät einschließlich des allseits bekannten Kreuz des Südens.)

Esmeralda und das Kreuz des Südens

Die Temperaturen wechseln manchmal inmitten des Tages von Sommer auf Winter, bzw. umgekehrt und für die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda besteht beim Verlassen des Schiffes immer die grundsätzliche Frage, was man wohl anziehen sollte. T-Shirt? Winterjacke? Auch der Zeiger des Barometers durchwandert lustig immer wieder beinahe einen Halbkreis, was aber keinen Einfluss auf das Wettergeschehen zu haben scheint.

An eine Weiterfahrt ist jedenfalls momentan nicht zu denken. Da die nächsten Häfen alle einen entsetzlichen Tidenhub von mehr als 10 m aufweisen und somit auch der resultierende Strom im Hafen 6-8 Knoten betragen kann, wollen wir die Strecke bis zur Einfahrt des Beagle-Kanals möglichst in einem Ritt ohne Zwischenstopp absolvieren. Somit ist Geduld gefragt, irgendwann muss es ja mal 4-5 Tage günstige Winde für die 410 Meilen geben.

Es gibt ja auch noch so viel zu entdecken. Wir buchen bei der reizenden Roxana eine Tour mit dem Boot zu der Isla Pinguino. Dort gibt es nicht nur die hier häufig vorkommenden Magellan-Pinguine zu sehen, sondern auch eine Kolonie der Felsenpinguine, welche alljährlich aus dem Süden kommend in dieser Zeit hier eintreffen und die Nachwuchsfrage zu klären haben. Wegen des Windes wird der Trip immer wieder verschoben, aber irgendwann ist es dann soweit: Nach dem Besuch einer Seelöwen-Kolonie, welcher bei den Jungtieren größte Begeisterung auslöst, betreten wir die Pinguin-Insel.

Man muss vorsichtig gehen, da überall gut verborgen in Mulden oder zwischen Steinen Magellan-Pinguine brüten.

Auf der anderen Seite der Insel, hinter dem verfallenden Leuchtturm und den ehemals zum Trankochen notwendigen Hinterlassenschaften der Seelöwen-Jäger, befindet sich eine Steilküste, welche ideale Bedingungen für die Felsenpinguine bietet.

Hier sitzen wir direkt inmitten der Pinguine, welche zumeist paarweise beieinanderstehen und auf irgendwas zu warten scheinen. Die Felsenpinguine beginnen das Brutgeschäft etwas später als die Magellan-Pinguine und sind somit noch mitten in den Vorbereitungen. Wir erfahren von Roxana, dass die Pinguine normalerweise als Paar ein Leben lang zusammenbleiben.

Da allerdings die Damen eher als die Herren auf der Insel eintreffen, sucht sich Mutti notfalls auch einen anderen Vati, sollte der einstmals Erwählte nicht rechtzeitig eintreffen. Aber auch die Männerwelt scheint ihre eigenen Moralvorstellungen zu haben. Wir beobachten, wie ein Männchen das Nest seiner schlafenden Frau verlässt, fröhlich mit der Nachbarin kopuliert, dann einer weiteren alleinstehenden Dame anscheinend Zärtlichkeiten ins Ohr flüstert und nach dem Erwachen der Ehefrau mit einem Steinchen im Schnabel als Geschenk zur Wiedergutmachung im heimischen Nest wieder auftaucht. Wir sind entrüstet!

Ungefähr 2 Stunden verbringen wir hier fasziniert, beobachten die lustig über die Felsen hopsenden, vom Fischen heimkehrenden Kameraden, freuen uns über das beinahe menschliche liebevolle Verhalten der Paare und können uns nicht so recht zum Rückzug entschließen. Um das Glück perfekt zu machen, sind nun auch noch 2 schwergewichtige See-Elefantenbullen eingetroffen.

Anscheinend brauchen sie etwas Ruhe im ewigen Kampf um das Überleben des Stärksten.  Die heftigen Bissverletzungen deuten auf üblichen Frauen-Probleme hin.

Der Herr Darwin, der ihnen diese Regeln aufgezwungen hat, war übrigens tatsächlich auf der Reise mit der „Beagle“ hier in Puerto Deseado gewesen und hat viele Spuren hinterlassen. Am Abend sind wir uns jedenfalls sicher, einen unvergesslichen Tag erlebt zu haben.

Argentiniens Tierwelt

Der gewissenhafte Leser hat sicherlich mitgerechnet und wird feststellen, dass unser 3-Monate-Visum so langsam auslaufen dürfte. Ja, lieber gewissenhafter Leser, so ist es! Neben allen vergnüglichen Unternehmungen steht nun auch unser Kampf um ein Aufenthaltsrecht in Argentinien im Vordergrund. In Anbetracht der blutigen See-Elefanten hoffen wir jedoch auf ein gewaltfreies Verfahren! Erstaunlicherweise gibt es keine klaren Informationen zur Visumsverlängerung für uns und auch eine zuständige Behörde zu diesem Zwecke scheint es nicht zu geben. Erstaunlich! Wir halten uns an unsere Freunde von der Prefectura: „Wir kümmern uns!“ Trotz mehrfacher Nachfragen passiert nichts. Wir suchen die Meldebehörde, die Stadtverwaltung und den Zoll auf: Keiner ist zuständig, verweist uns aber freundlich an die jeweils andere Instanz und zum Schluss landen wir wieder in der Prefectura. Hier gibt man uns eine vage Online-Adresse, über welche wir unser Visum verlängern können. Wir protestieren zurückhaltend, ahnend, dass dieses Problem nicht so leicht zu bewältigen ist. In den nächsten 90 Minuten versuchen nun zwei Beamte, das unendliche Online-Formular für uns auszufüllen. Während so bedeutende Fragen wie der Aufenthaltsort unserer Eltern noch geklärt werden können, ist an irgendeiner Stelle Schluss und es wird beschlossen, dass die Visumsverlängerungsfrage nur in der Immigrationsbehörde im 300 km entfernten Comodoro Rivadavia entschieden werden kann. Der wirklich sehr freundliche 2.Prefectura-Kollege, welcher sogar englisch spricht, macht uns den Vorschlag, morgen gegen Übernahme der Benzinkosten mit uns eine Expedition nach Comodoro Rivadavia zu starten. Großartig!

Am nächsten Tag werden wir abgeholt, sogar Proviant und eine Rose für die Dame ist an Bord und dann geht es durch die endlosen steppenartigen Weiten Patagoniens.

Langweilig ist es nicht; wir erfahren viel vom Leben in Argentinien und lernen nun auch endlich mal die Mate-Zeremonie ausführlich kennen. Sowohl im Süden Brasiliens wie auch in Argentinien sahen wir immer wieder Menschen, die statt mit einer Bierflasche o.ä. mit dem Mate-Becher am Strand oder auf Parkbänken in Gruppen sich zusammenfanden. Gemäß Landesgebrauch wird das Mate-Gefäß (einer Urne nicht unähnlich) samt Trinkrohr mit allen Anwesenden geteilt. Vermutlich hätte das Corona-Virus in diesem bitteren Getränk keinerlei Überlebenschancen. Und so kommen wir dann wieder um eine Erfahrung reicher irgendwann in Comodoro Rivadavia an.

Unser Wunsch nach Visumsverlängerung wird erst einmal konsequent abgelehnt. Die Details wollen wir dem geneigten Leser ersparen, es hat aber wie immer mit Corona zu tun. Wir protestieren jedoch energisch, sollen wir doch das Land nun in den nächsten 2 Tagen verlassen. Wie immer ist gerade Starkwind, welcher dann in den nächsten Tagen durch Starkwind abgelöst wird! Nun kämpft unser Prefectura-Mann für uns wie ein Löwe! Nach weiteren 30 Minuten ist ein eventuell typischer argentinischer Deal ausgehandelt: Wir dürfen erst einmal so lange bleiben, wie es nötig ist, müssen aber beim Erreichen des nächsten `Port of Entry´ (vermutlich Ushuaia) eine Strafe von ca. 80 Dollar pro Person bezahlen und können dann wohl wieder 3 Monate im Lande bleiben. Naja, nicht ganz das, was wir uns von dieser Reise versprochen hatten, aber wir sind zufrieden. Abends spät sind wir froh, wieder an Bord der tapferen Esmeralda zu sein.

Und was passiert noch? Wir gehen mutig (eigentlich mehr um unsere Sprachkenntnisse zu testen) ins Kino und sehen zum Beispiel einen Dokumentarfilm über Frauen im Falklandkrieg. Dieser Krieg (hier heißen die Falklands jedoch Malvinas) ist sehr präsent im gesellschaftlichen Bewusstsein. Immer wieder findet man Schilder, die diese steinige und vor allem von Schafen bewohnte Inselgruppe als argentinisch ausweist. Leider haben jedoch auch mehr als tausend, oftmals sehr junge Soldaten in diesem vermeidbaren Konflikt ihr Leben verloren und so muss diesem Krieg irgendein Sinn verpasst werden.

Viel Zeit verbringen wir mit dem Suchen spezieller Ersatzteile wie zum Beispiel Ölfilter oder andere Kleinteile, leider oft erfolglos. Bedauerlicherweise gibt es nicht einen großen Baumarkt, sondern viele kleine Ferreterias bzw. Autozubehörgeschäfte. In jedem Geschäft muss man dem Verkäufer dann erklären, was gesucht wird. Das ist nicht immer ganz leicht…

Auch unser Dieseltank möchte mal wieder aufgefüllt werden. Die fehlenden ca. 200 Liter wollen wir ungern in Kanistern zum Boot schleppen und so fragen wir einfach mal nach einer Esmeralda-tauglichen Lösung in einer Tankstelle nach. Ja, irgendwie könnte das schon gehen, sagt man uns. Man will einen Tankwagen besorgen und würde dann so dicht wie möglich an das Boot heranfahren. Die Reststrecke (wir liegen ja schließlich an einem schwimmenden Ponton) muss dann natürlich per Kanister zu Fuß erledigt werden. Eine tolle Lösung! Wir vereinbaren den übernächsten Tag als verbindlichen Liefertag. Morgens fahren wir sicherheitshalber mal an der Tankstelle mit unseren Fahrrädern vorbei und selbiger Kollege, mit dem wir alles vereinbart hatten, ist nun völlig erstaunt, dass gerade heute der Tag der Erfüllung unseres sehnlichsten Wunsches sein soll. Überraschend ist außerdem heute ein Feiertag und wir vereinbaren wiederum den übernächsten Tag. Sogar eine Uhrzeit wird festgelegt. Der interessierte Leser wird es ahnen: Auch an diesem Tage passiert erst einmal nichts! Irgendwann schlägt sich ein Besatzungsmitglied per Fahrrad zur Zapfstelle durch. Und nun geht es ganz schnell! Das Fahrrad wird auf den Tankwagen gepackt und los geht es.

Der Tank wird gefüllt, geduldig wartet der auch wieder ausgesprochen freundliche Tankstellenmann bis die Prozedur (2 Kanister füllen, zum Boot tragen, per Schlauch in den Tank füllen und wieder retour) beendet ist. Da die von uns vermutete Menge doch nicht ganz reicht, fährt man nochmals zur Tankstelle und füllt nach und kehrt zurück. So, dass war´s. Nun werden nur noch die Facebook-Adressen ausgetauscht, Hilfe in allen weiteren Lebensfragen angeboten und dann trennen sich Freunde!

Recht häufig werden wir von Menschen, die uns neugierig an Bord besuchen, zum Essen eingeladen. Uns gelingt es nicht, die Regeln für eine solche Einladung vollständig zu entschlüsseln. Manchmal wird der Tag des Treffens sehr konkret vereinbart und dann kommt keinerlei Information mehr.

Manchmal sitzen wir aber auch in einer völlig unkomplizierten Runde zusammen, man isst, singt und tanzt sogar gemeinsam und wenn man nach Hause will, dann geht man einfach. Dies wird ohne das übliche Getue so angenommen.

Genauso unkompliziert werden Kontakte geknüpft. Da stehen mal ein paar interessierte junge Leute vom benachbarten Trawler vor unserem Boot und möchten gerne ein Segelboot besichtigen. Und so bekommen wir im Gegenzug auch mal eine Führung auf einem in „unserer“ Werft liegenden Fischverarbeitungs-Schiffe. Beeindruckend! Eine schwimmende Fabrik!

Besuch von unserem Nachbarboot

Ein hier in der Werft arbeitender Prefectura-Mann bietet uns an, ein paar Sehenswürdigkeiten, die wir nicht per Fahrrad erreichen können, mit dem Auto zu besuchen. Wir nehmen dankend an und erleben den Uniformträger nun „als Mensch“ mit seiner Familie.

„Was ist denn eigentlich zum Teufel nochmal die Prefectura?“ hören wir es aus dem Auditorium schallen. Diese Frage kann man nicht so genau beantworten. Nestor in Necochea beantwortete diese Frage eindeutig mit „The Enemy“! In jedem noch so kleinen Ort mit Anlegemöglichkeit gibt es diese Instanz. Man muss sich als ankommendes Boot dort melden (sowohl prophylaktisch per Funk und später dann direkt im Büro), als abfahrendes Boot dann in umgekehrter Reihenfolge (also erst direkt, dann per Funk), muss Kurs, Geschwindigkeit, Ziel und Ankunftszeit melden, immer wieder jede Menge Papier ausfüllen und vieles mehr. Bekannt ist, dass diese Behörde von der Seefahrt nun keinerlei Ahnung hat und dementsprechend praxisfremd reagiert. Verbringt man einige Zeit in so einer Instanz (und das muss man zwangsläufig immer wieder, will man in Argentinien per Boot unterwegs sein), wird man förmlich irre vom Anblick der umherschlendernden Männer und Frauen in Uniform, ein paar Papiere in den Händen haltend, hinter irgendeiner Tür wieder verschwindend. Sogar in unserer Werft „arbeitet“ ein Prefectura-Kollege direkt neben unserem Liegeplatz in einer Höhle auf dem Ponton im 24-Stunden-Dienst. Keiner weiß, welcher Sinn dem anhaftet! Wir erfuhren, dass in dem kleinen Örtchen Puerto Deseado einhundertfünfzig (150!) Prefectura-Kollegen angestellt sind.  Aber trotzdem muss gesagt werden, dass diese Kollegen immer sehr freundlich und hilfsbereit sind. Siehe oben!

Trotz aller Freundlichkeit hoffen wir aber , doch einmal demnächst weiterziehen zu können.

08.10. – 25.10.2021  Caleta Hornos, Puerto Deseado

Das Meer! Unendliche Weite! Wir sind wieder unterwegs. Will noch jemand wissen, wie die letzte Nacht war? Nein? Ach, wir müssen das verarbeiten, da hilft reden!

Nach dem „Gute Nacht“ war noch lange nicht Schluss. Mittlerweile hatte der kippende Strom das Boot in Richtung des neuen Nachbarbootes getrieben und wieder musste schnell der Anker hoch und ein neuer Platz gesucht werden. Es gibt vor San Blas nur einen schmalen Streifen, wo man ankern könnte und dieser Streifen ist vollgestopft mit Mooring-Tonnen, an welchen auch Boote liegen. An allen? Nein, eine ist frei! Wir holen uns per Funk von der Prefectura die Erlaubnis, diese letzte Freie in Beschlag zu nehmen und so können wir davon ausgehen, nicht zu anderen Booten oder zum Strand vertrieben zu werden. Ein kleiner Zweifel besteht allerdings doch und wir schalten mal lieber die Ankerwache ein. Der Wind hat mittlerweile doch kräftig aufgefrischt und auf Nord gedreht. Esmeralda tanzt gar heftig in der Welle und irgendwann trötet dann auch die Ankerwache. Tatsächlich haben wir die vermutlich tonnenschwere Mooring etliche Meter in Richtung Strand geschleppt. Es ist 2 Uhr morgens – wir ankern mal wieder. An Schlaf ist nicht mehr zu denken: Das Boot ist in Dauerbewegung und das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Ankermanövers ist auch dahin. Um 5 Uhr morgens ist es dann wieder so weit: wir vertreiben. Ein letztes Mal wird der Anker wieder ausgebracht und jetzt machen wir uns seeklar und verlassen mit einem letzten Gruß an die Prefectura bei Sonnenaufgang recht verquollen den ungastlichen Ort. San Blas? Hier kommen wir niemals wieder her! NIEMALS!

Nun meint es die Welt aber gut mit uns. Die 325 Meilen zur Caleta Hornos sind entspannt und der Wind sogar eher etwas zu behutsam mit uns. Aber wir können den fehlenden Schlaf der letzten Tage nachholen und freuen uns über den Besuch von Seelöwen oder Seehunden, die immer mal neugierig aus dem Wasser schauen und über die eleganten Commerson´s-Delphine, die uns oft begleiten. Diese tragen ein schneeweißes Kleidchen mit schwarzen Punkten. Hübsch.

Am Sonntag gegen Mittag reiten wir dann in die Caleta Hornos ein und plötzlich wird es still um uns herum. Vom Wind ist in der Felsenbucht nichts mehr zu hören, keine Welle, keine Spur von menschlichem Leben, nur ein paar Möwen geben Laute von sich. Ein Paradies, wir spüren es sofort!

Auch der Anker hält sofort und wird auch all die Tage unserer Zeit hier halten. Nun müssen erstmals Landleinen verlegt werden. Die Bucht bietet nicht genug Platz zum Schwoien und mit Starkwind muss auch in den nächsten Tagen gerechnet werden. Unsere riesige Rolle mit 220m bester Polypropylen-Leine soll nun in 2 gleiche Hälften geteilt werden. Gleichzeitig gilt es, ein Leinen-Chaos zu vermeiden. Letzteres gelingt nicht ganz und eine weitere Stunde entwirren wir 110 Meter unseres Taus. Wie geht das eigentlich immer?

 Irgendwann ist es dann aber soweit: Das Boot liegt sicher und wir genießen die Schönheit der Umgebung.

Am nächsten Tage tauchen tatsächlich menschliche Wesen auf. Zwei Männer sitzen auf einem Berg und winken und wir winken natürlich freundlich zurück. Ja, ja, ein wunderschöner Platz! Doch die beiden scheinen mehr von uns zu wollen und machen uneindeutige Zeichen. Wir amüsieren uns: Bestimmt die Prefectura! Als dann die Herren ein Funkgerät hervorzaubern, wird uns klar, dass der Witz kein Witz war und tatsächlich die Prefectura aus dem 20 km (?) entfernten Camarones über unbefestigte Sandwege zu uns gefahren ist um die üblichen Fragen zu stellen: Matrikelnummer des Bootes, Zeitdauer des Aufenthaltes, Personenzahl an Bord etc. Wir sind zutiefst gerührt! 

Doch dann wird es wieder still um uns herum.  Unsere einzigen sozialen Kontakte sind die Seehunde, die jeden Tag neugierig das Boot umkreisen, uns beobachten und gerne mit sämtlichen erreichbaren Leinen spielen. Wir machen uns etwas Sorgen um die überlebensnotwendigen Landleinen, aber anscheinen kauen die Kollegen nur darauf herum. Es finden sich keine Schäden.

Irgendwann ist der letzte Apfel gegessen und die letzte Limette im Sundowner versenkt, so dass eine Expedition in die Stadt Camarones zur Nahrungsbeschaffung geplant wird. Ein kleines Schild am Ende eines in unserer Bucht befindlichen Sandweges verheißt eine Strecke von nur 18 km bis dahin. Das sollte doch zu machen sein! Da wir die Fahrräder nicht die Felsen empor tragen können, werden wir zu Fuß gehen.

An einem windstillen Tag lassen wir früh am Morgen das Segelboot Esmeralda etwas schweren Herzens allein in der Bucht zurück. Nach bereits 10km treffen wir auf das erste menschliche Anwesen: Ein Mann wohnt mit seinem Pferd, Hund und Schafen sehr spartanisch hier. Seine Wegbeschreibung ist für uns unverständlich. Seltsam, dass manche Menschen Kommunikationsprobleme durch kompensatorisch viele Worte und schnelles Sprechen auszugleichen versuchen. Wir ziehen also erstmal weiter und bleiben immer auf dem Hauptweg. Nach weiteren 8km stoßen wir bereits auf das 2. Gehöft, dieses allerdings menschenleer. In der Ferne, auf der anderen Seite der Bucht, sehen wir nun Camarones. Uns wird jedoch allmählich klar, dass wir sicherlich den falschen Weg gewählt haben (irgendwelche Hinweisschilder gab es nicht) oder aber die versprochenen 18 km Wegstrecke nicht ernst gemeint waren. Das Online-Kartenwerk (ja, wir haben sogar jetzt zeitweise Telefonnetz) prognostiziert uns noch 12km bis ins gelobte Land. Aber nun sollten wir eine Straße erreichen und sicher nimmt uns jemand im Auto mit.

Naja, auch die Straße ist nur ein etwas breiterer Sandweg und nach einer weiteren Stunde ist noch kein einziges Auto an uns vorbeigekommen. Jetzt werden wir doch etwas nervös. Auf keinen Fall werden wir die Strecke bis Camarones und zurück zu Fuß bei Tageslicht schaffen. Ob wir ein Auto finden, welches uns über diesen unbefestigten Weg zurück in die Caleta Hornos bringt, ist sehr fraglich. So treffen wir, schon beinahe im Angesicht der Segnungen der Konsumgesellschaft, sehr schweren Herzens die Entscheidung wieder umzukehren.

Zum Glück hatten wir uns gut auf diese weite Wanderung vorbereitet: Zum Abend hin teilen wir den mitgenommen Schoko-Riegel gerecht auf und zum Glück können wir die 500ml-Wasserflasche an beiden Gehöften auf dem Rückweg wieder auffüllen. Mit dem letzten Tageslicht finden wir unser Dinghy und auch Esmeralda hat brav an ihrem Platz gewartet.

Auch wenn das Reiseziel verfehlt wurde, haben wir doch viel vom Land gesehen und auch die hier lebenden, sehr scheuen Guanacos tauchten immer mal wieder zwischen den Büschen oder imposant auf Berggipfeln auf. Am meisten freute sich aber unser Müllsack, welchen wir in der Hoffnung auf eine fachgerechte Entsorgungsmöglichkeit (gab es natürlich nicht) mit auf die Reise genommen hatten und welcher nun auch mal die große weite Welt kennenlernen durfte.

Und dann kommt mal wieder Starkwind. Auch in der gut geschützten Bucht pfeifen uns die Böen um die Ohren. Die Landleinen und der Anker halten das Boot am Platz und nur unser Dinghy wird vom Sturm umgeworfen. Das wäre ja eigentlich auch kein Problem, wenn da nicht dämlicherweise die Ruder lose drin gelegen hätten. Die haben uns nun erst einmal verlassen. Aber da sie unserer Meinung nach schwimmen können sollten, haben wir die Hoffnung, sie irgendwo in einer Ecke der Bucht wiederzufinden. Um es kurz zu machen: Wir haben sie nicht wieder gefunden! Wir finden dafür ein paar alte Fischkisten und basteln uns daraus erst einmal ein paar Paddel. Naja, geht auch.

Am Sonntag (17.10.) bietet sich nun endlich ein Wetterfenster für die 160 Meilen bis Puerto Deseado. Am Morgen besucht uns doch tatsächlich noch einmal die Prefectura und dann geht es los. Landleinen werden eingeholt und der Anker muss mit Motorkraft erstmals ausgebrochen werden, so fest hat er sich in den guten Ankergrund eingegraben.

Trotz zumeist nördlicher Winde moderater Stärke wird der relativ kurze Trip doch etwas ungemütlich: Die letzten Starkwinde aus Süd bringen sich mit einer Welle aus gleicher Richtung in Erinnerung, welche dann zusammentreffend mit der Windwelle aus Nord ein chaotisches Schlingern des Bootes hervorrufen. Der Besatzung fällt es sehr schwer, unter diesen Bedingungen den nötigen Schlaf zu bekommen. Am frühen Morgen des 19.10. sind wir aber pünktlich zu Stillwasser (der Ebbstrom kann bis zu 6 Knoten hier erreichen) an der Hafeneinfahrt zu Puerto Deseado. Die lustigen weißen Delphine gaben uns schon eine ganze Weile das Geleit und jetzt tauchen auch noch Magellan-Pinguine in großer Zahl auf. Erstmals Pinguine in freier Wildbahn! Wir sind sehr glücklich.

Doch nun stellt sich die Frage, wo wir hier einen sicheren Parkplatz finden können. Auch hier wird bald wieder stürmischer Wind kacheln und auch die gewaltige Strömung macht Ankern unkomfortabel. Die vom Segelführer empfohlene Mooring-Tonne ist für uns nicht nutzbar, da es dort zu flach zu werden scheint. Auch die Prefectura (die natürlich per Funk immer an unserer Seite ist) scheint keine Idee zu haben, wo man in ihrem Hafen sicher anlegen kann. Seltsam.

Dann sehen wir einen Schlepper an der Pier liegen, wo zwei Männer uns freundlich heranwinken. Kurz darauf liegen wir gut vertäut an der Seite des Bootes und haben zwei neue Freunde in diesem Land gewonnen. Was für nette Menschen!

Aber nun müssen wir erst einmal zur Prefectura! Das ist natürlich wichtiger. Wir füllen die üblichen Formulare aus, warten auf irgendwas und gehen dann mit dem allerdings sehr netten Uniformträger zum Boot. Wieder einmal eine Kontrolle der sicherheitsrelevanten Ausrüstungsgegenstände! Uns soll es doch egal sein…

Im Gespräch mit dem Offizier teilen wir ihm auch unseren Wunsch nach einer Corona-Impfung mit. Er verspricht sich zu kümmern und tatsächlich erhalten wir am nächsten Tage die Auskunft, dass wir am folgenden Tage die Impfung erhalten werden. Was für eine Freude! An jenem Tage reihen wir uns dann in die Schlange von ca. 200 Menschen ein und bekommen tatsächlich ohne Probleme nach 2 Stunden Wartezeit den russischen Impfstoff „Sputnik“ verabreicht. Großartig!

Und sonst? Wir erkunden die Stadt, sitzen oft mit unseren reizenden Bootsmännern zusammen und lernen auf der Suche nach zwei neuen Rudern für das Dinghy eine Menge sehr freundlicher Menschen kennen. Dies bleibt zwar erfolglos, aber der sympathische Betreuer des hiesigen Kindersport-Vereins, wo unter anderem auch Kajaksport betrieben wird, kann uns zwei abgelegte Paddel geben, aus welchen wir uns mit einem in der Ferreteria besorgtem Rohr zwei Ruder basteln. In diesem Verein wird nicht lediglich Sport getrieben. Der sehr engagierte junge Mann versucht Lebensinhalte zu vermitteln, welche vermutlich im Elternhaus keine große Rolle spielen. So wird auch ein Gewächshaus durch die Kinder betreut (wir werden mit reichlich Frisch-Gemüse versorgt), das Grundstück bepflanzt und es wird gemeinsam das Essen eingenommen. Bei Letzterem lernen wir dann auch die Kinderschar kennen: Ohne Berührungsängste werden wir ausgefragt, eingeladen und bestaunt.

Ein Problem konnten wir allerdings noch nicht lösen: Spätestens am Freitag (22.10.) erwartet man hier für ein paar Tage den nächsten Sturm und wir liegen am Schlepper nicht gerade ideal bei den vorherrschenden südwestlichen Winden. Somit gehen wir buchtaufwärts zur hiesigen Werft, welche etwas mehr Schutz bietet. Tatsächlich können wir an einem riesigen Ponton im Windschatten eines Fischtrawlers anlegen und fühlen uns doch etwas sicherer. Die Nacht zum Sonnabend ist dann zwar sehr unruhig, aber wir überleben und auch der weitere Starkwind wird relativ gut abgewettert. Wir sind halt in Patagonien und kein Mensch hat uns gezwungen hierherzukommen! Wie schön, dass wir das alles erleben dürfen!

26.09.2021 – 07.10.2021  Caleta San Blas

Freundlicherweise begleitet uns Andres vom Yachtclub am Sonntag-Abend zur Prefectura. Eigentlich erwarteten wir ein kurzes Behördentheater mit dem üblichen Papierkram und danach schnelle Rückkehr zum Boot. Allerdings startet unerwartet großes Kino mit einem abendfüllenden Film. Der Mann am Schreibtisch scheint mit unserer doch aus unserer Sicht normalen Bitte um morgige Ausfahrterlaubnis völlig überfordert und holt Verstärkung. Nach 15 Minuten stehen tatsächlich 5 uniformierte Beamte im kleinen Büro und diskutieren unsere anmaßende Forderung. (Was machen eigentlich diese Menschen an diesem windigen Sonntag den ganzen Tag hier, an dem vermutlich kein einziges Boot den Hafen verlassen bzw. erreicht hat???)  San Blas als nächstes Ziel findet nicht so recht die Zustimmung der Kollegen. Viele Sandbänke, reichlich Strom… Irgendwas scheint noch zu stören, was wir nicht so recht mitbekommen. Nachdem die Besatzung des Segelschiffes Esmeralda tapfer vier Blatt Papier beidseitig ausgefüllt hat, gibt es jedoch den begehrten Stempel. Lustig ist, dass ein Beamter das Stempelkissen hält und ein weiterer den Stempel bedient. Die restlichen Uniformträger drücken bereits wieder hektisch auf ihren Fernsprechgeräten herum. Wir wähnen uns am Ende der Prozedur. Nun entscheidet jedoch der Mann, welcher den Stempel bedienen durfte, dass eine Kontrolle des Schiffes unabdingbar ist. Es geht zurück in den Yachtclub und glücklicherweise kommen nur zwei Entscheidungsträger zu uns an Bord. Der Kontrolle sehen wir gelassen entgegen. Tatsächlich hatten wir in den letzten Wochen sämtliche Rettungsmittel kontrollieren lassen und können reichlich Prüfdokumente vorweisen. Genau dies wollen die Herren sehen: Feuerlöscher, Schwimmwesten, GPS, EPIRB, Notraketen, Funkgerät etc. Nach einer Stunde ist man zufrieden und wünscht uns eine gute Reise.

Gemeinsam mit unseren Freunden vom Yachtclub amüsieren wir uns bei einem Bier anschließend über die Prozedur. Wir überreichen noch ein Geschenk zur Erinnerung und nehmen bewegt Abschied. Hier haben wir uns wirklich sehr wohl gefühlt.

Am nächsten Morgen geht es los! Natürlich melden wir uns noch einmal per Funk bei der Prefectura. Man erfragt den momentanen Kurs und die Geschwindigkeit und will wissen, wann wir genau in San Blas ankommen werden. Letztere Frage kann natürlich von einem Segler kaum wirklichkeitsnah beantwortet werden. Wir entscheiden uns für Mittwoch-Früh als Ankunftstermin und die maritimen Bürokraten sind zufrieden.

Die zwei Tage auf See für die gut 200 Meilen gehen in Ordnung. Keine größeren Wetterkapriolen und zum Schluss müssen wir die flotte Esmeralda wieder einmal bremsen um bei Stillwasser und erstem Morgenlicht in der doch etwas komplizierten Einfahrt nach San Blas anzukommen. Mittlerweile kachelt der Wind mit 25 Knoten recht kräftig und schickt uns größere Brecher über die Flachstellen entgegen. Da der Wind im Laufe des Tages noch auffrischen wird, würden wir am liebsten gleich weiter an San Blas vorbei und in die wohl etwas geschütztere Lagune einreiten. Dies geht nur bei Hochwasser (haben wir gerade) und mit einem ortskundigen Bürger als Lotsen (haben wir nicht). Die Karte bietet für diese Region keinerlei Angaben. Aber zum Glück gibt es ja auch hier eine Prefectura, welche uns bestimmt helfen wird! Vielleicht mag es mancher schon ahnen: Der Funkverkehr gestaltet sich schwierig und bei der Beschaffung eines „Lotsen“ kann man uns nun gar nicht helfen. Nun ist auch schon die Zeit des Hochwassers vorüber und wir können nur direkt vor dem Ort vor Anker gehen. Wir ahnen noch nicht, dass das Wort „Anker“ in all seinen Verbindungen das Wort für die nächsten sieben Tage sein wird.

Die Caleta ist recht tief, so dass wir bedrohlich nahe am Strande in 12 Meter Tiefe unsere Kralle auswerfen müssen. Der Wind ist leider auflandig, was die Sache nur noch schlimmer macht und irgendwelchen Schutz bietet das flache Land auch nicht. Zum Nachmittag bei Ebbe ist der Strand dann in Rufnähe (was beim Heulen des Windes im Rigg allerdings illusorisch wäre) und wir beschließen, lieber noch einmal etwas weiter draußen (bei 14 Metern) zu ankern. Und dann hoffen wir auf eine ruhigere Nacht als die beiden Nächte zuvor auf See!

Jedoch kommt es natürlich anders. Der permanente Tidenstrom einwärts bzw. auswärts wie auch der weiterhin kräftige Wind und Welle lassen das Boot in alle Richtungen treiben und die Ankerwache reißt uns permanent aus den Betten. Gegen 4 Uhr ist es dann soweit: Der Anker hat sich gelöst und nun steht Esmeralda direkt am Strand. Wir haben Bodenkontakt (gut spürbar) und nur dank der Welle, die das Boot immer wieder anhebt und des wackeren Perkins, kommen wir wieder frei. Neuerliches Ankermanöver in Dunkelheit! Jetzt ist erst recht nicht mehr an Schlaf zu denken. Aber das Boot bleibt auf Position und am Morgen begeben wir uns auf die Suche nach einem Lotsen für die hoffentlich geschütztere Lagune. Da wir das Boot wegen der schlechten Bedingungen immer noch nicht verlassen können, muss dies online erfolgen. Unser Segelführer präferierte eine „Bruce-Company“ zu diesem Zwecke, welche sich aber im großen Netz nicht finden lässt. Dafür finden wir (bei Facebook) eine Firma, die sich „El Ingles“ nennt und Angelfahrten organisiert. Das passt doch irgendwie. Auf die Anfrage kommt eine schnelle Antwort in gutem Englisch. Man will uns, da gerade jetzt wieder Hochwasser ist, schnell einen Führer schicken. Wir machen uns auf den Weg in die 4 Meilen entfernte Lagune. Jedoch ist der Wind und die Welle noch immer so kräftig, dass wir niemals zum rechten Zeitpunkt am Treffpunkt sein könnten. Wir brechen ab und nehmen wieder unseren Platz vor dem Strande ein.

Wundersamerweise nimmt ab Mittag der Wind aber ab und zum Nachmittag ist die Bucht spiegelglatt. Das gibt es also auch? Tatsächlich können wir sogar an Land und treffen uns mit unserem „Lotsen“ Kenn zu einem Bier im Ortskiosk. Nun können wir alles direkt von Angesicht zu Angesicht absprechen, was wir Deutschen irgendwie beruhigender finden.

Am nächsten Tage will er uns an der Einfahrt zur Lagune um 9 Uhr erwarten und dann an den Untiefen vorbei zum neuen Ankerplatz geleiten. Nun wird es auch langsam Zeit, da am darauffolgenden Tage wieder Starkwind erwartet wird.

Alles klappt wunderbar. Wir werfen den Anker in der Lagune, welcher allerdings lange über Steine rammelt, bis er endlich Halt bekommt. Auch hier ist der Ankergrund nicht gerade erste Wahl! Dafür ist die Natur rundherum wunderschön. Ein paar Häuser am Horizont, ansonsten Einsamkeit mit vielen Wasservögeln. Zur Sicherheit beschließen wir, noch einen Zweitanker mit dem Dinghy auszubringen. Das ist zwar in Tidengewässern, wo das Boot sich durch die alle 6 Stunden ändernden Ströme permanent dreht, nicht gerade ideal (großer Kettensalat droht), bietet aber doch erst einmal mehr Sicherheit.

Tatsächlich liegt Esmeralda im fast 24 Stunden anhaltenden Getöse fest am Platz. Aus o.g. Gründen wollen wir dann nach dem Abflauen des Windes zum abendlichen Stillwasser bei Ebbe den Zweitanker wieder an Bord holen. Mit dem Fall über eine Winsch bemühen wir uns gar gewaltig. Der Anker will nicht an die Wasseroberfläche kommen. Mit dem Dinghy inspizieren wir die Situation: Anscheinend hat er sich in eine kräftige Nylonleine verhakt (das konnte man zum Glück ertasten) und nach einem Schnitt mit dem Messer schnellt der Anker nach oben. Das wäre ja eigentlich gut, wenn da nicht noch das Schlauchboot im Wege gewesen wäre. Die Spitze des CQR-Ankers bohrt sich in die Weichteile, was durch ein klagendes Zischen hörbar wird. Na prima! Aber irgendwie ging es nicht besser! Doch damit nicht genug: Bei dieser Aktion stellen wir fest, dass die Kette des Hauptankers sich am Boden um einen Stein gewickelt haben muss. Die Ankerwinsch vermag bis zu einem bestimmten Punkt die Kette nicht weiter einzuholen. Da es nun auch schon dunkel ist, vertagen wir frustriert die weitere Bergung auf den nächsten Morgen. Ebbe ist wieder um 6.40 Uhr in der Frühe. Tolle Zeit für diese Aktion!

Am nächsten Morgen bestätigt sich nach einem Tauchgang die Vermutung! Zum Glück kann durch Kettegeben an Deck die Person unter Wasser die Kette vom Stein wieder lösen. Wir sind sehr glücklich! Wenn doch nur das Wasser nicht so eisig gewesen wäre…

Neues Ankermanöver an anderer Stelle und dann warten wir auf den nächsten Starkwind, welcher dann für den nächsten Tag angekündigt ist. Langsam reicht es! Es bleibt jedoch noch Zeit, unser Dinghy zu flicken.

In Übererfüllung seiner Pflichten kommt der Angriff des Windes bereits am Vormittag des 5.10.! Versprochen war er doch erst zum Nachmittag! Wir verzichten diesmal auf den Zweitanker und vertrauen unserem Hauptanker trotz mäßigem Ankergrund. Zum Nachmittag läuft das Wetter zu ganz großer Form auf und Wind und Welle kann den Anker anscheinend etwas lösen. Wir treiben in Richtung Flachwasser. Auch hier in der Lagune ist wenig Platz, so dass uns nur wenig Zeit bleibt. Rausspringen, Motor an, Anker rein und mit Vollgas gegen Strom, Wind und Welle wieder in tiefere Gefilde. Neues Ankermanöver! Nun scheint unser Freund seine Aufgabe besser zu erfüllen: Wir bleiben vor Ort. Und tatsächlich flaut am Abend der Wind auch langsam ab.

Am nächsten Tage besuchen uns unsere Freunde von der Prefectura im Schlauchboot. Wir sind etwas gerührt, dass die Jungs sich auf den weiten Weg gemacht haben um uns mal wieder zu sehen!

Zum Mittag (Hochwasser) haben wir uns dann mit Kenn verabredet. Es wird Zeit, wieder in das Leben zurückzukehren. Er führt uns intuitiv serpentinenartig um die Untiefen herum. Zeitweise haben wir nur 1,8m unter dem Schiff, aber alles wird gut. Am Nachmittag liegen wir dann wieder am alten Platz direkt vor dem Ort. Es ist schön, wieder ein paar Menschen und deren Treiben zu sehen. In der Lagune waren wir in 5 Tagen wegen permanentem Starkwind und unpässlichem Dinghy nur einmal an Land und trafen da Jonny und David, die Brüder unseres Lotsen Kenn. Sie alle sind Abkömmlinge des legendären Bruce (s.o., Bruce-Company), einem Engländer. Somit sprechen sie alle auch ganz gut Englisch, machen aber auf uns einen etwas desolaten Eindruck. Sollte die Einsamkeit hier, 6 km von der Ortschaft entfernt, ihre Spuren hinterlassen haben? Wir schlawanzen jedenfalls am Abend noch durch den Ort, speisen im Restaurant des hiesigen Hotels und statten unseren Freunden von der Prefectura einen Gegenbesuch ab. Es gilt ein paar Formulare auszufüllen, wollen wir doch am nächsten Tage (7.10.) San Blas verlassen in Richtung der 320 Meilen entfernten Caleta Hornos. Aber freundlich sind die Kollegen (4 Beamte sind im Office anwesend) tatsächlich. Wir schwatzen eine Weile und man druckt uns sogar noch einen Berg privater Formulare für den Steuerberater aus.

Der Abend findet sein Ende mit einem neuerlichen Ankermanöver: Direkt neben uns hat sich nun noch ein Kutter an die Mooring-Tonne gelegt, innige Kontaktaufnahme droht! Anker auf (zum wievielten Male eigentlich in den letzten Tagen?) und einen neuen Platz suchen. Und das war es dann für heute. Gute Nacht!

13.September – 26.September 2021 NECOCHEA

So langsam hält der Frühling Einzug am Rio Quequen. Die Bäume werden wieder grün, die Temperaturen am Tage sind meist im zweistelligen Bereich und wir werden wieder reiselustig.

Letzteres wird seitens der Behörden auch noch gefördert: Wir erfahren, dass wir unser 3-Monate-Visum nicht verlängern können und somit eigentlich das Land Anfang November verlassen müssten. Nach unseren Brasilien-Erfahrungen sehen wir das nicht allzu dramatisch, denken nun doch aber an eine baldige Weiterfahrt. Da aber die Windverhältnisse gerade mal wieder nicht so recht passen, mieten wir uns erst einmal ein Auto und besuchen die 170 km entfernte Stadt Tandil. Hier gibt es Museen, wunderschöne historische Gebäude und viel Leben auf den Straßen und in den Bars. Rundherum ließ man viele Berge wachsen, so dass wir auch mal wieder wandern können.

Aber auch um Necochea gibt es einiges zu sehen. Nördlich und südlich des Rio Quequen sind schöne Strände und tatsächlich kann man sich schon mal in die Sonne legen und die Wärme aufsaugen. Nebenbei wird auch noch Strandkino geboten. Immer wieder sind Wale in Strandnähe zu beobachten, die hier anscheinend sich ihre Nahrung suchen.

Es gibt noch einen weiteren Grund Necochea den Rücken zu kehren. Barbara und Fernando, unsere argentinischen Freunde in Brasilien, hatten uns vor Kriminalität in Argentinien gewarnt. Tatsächlich lauert uns jeden Tag hier ein garstiger Gänserich auf und bedroht uns mit eindeutig aggressiven Gebärden.

Da er gleich zwei Straßenzüge kontrolliert, setzen wir uns mit jedem Gang in die Stadt seiner unberechenbaren Gewalt aus. Zu ganz großer Form läuft er auf, wenn seine Esposa anwesend ist. Und da das Familienleben anscheinend recht intakt ist, ist Madam fast immer dabei! Tröstlich ist nur für uns, dass sich sogar große Hunde seiner Macht beugen müssen und die Flucht ergreifen.

Unser nächstes Ziel ist die Caleta San Blas, ca. 200 Meilen südwestlich von Necochea. Zuvor müssen wir natürlich zu unseren Freunden von der Prefektura, da man sich in Argentinien vor jeder Ausfahrt dort ab- und später wieder anmelden muss. Wir freuen uns auf neue Eindrücke und hoffen, dass das Wetter uns hold ist.

23. August – 12. September 2021 NECOCHEA

Etwas Lethargie legt sich wie ein grauer Schleier über das Segelboot Esmeralda und seine Besatzung.

Da wir erst im hiesigen Sommer (also November/Dezember) im „nur“ ca. 1000 Meilen entfernten Patagonien sein wollen und die Zahl der anzusteuernden Buchten bzw. Häfen auf diesem Wege recht begrenzt ist und auch das Wetter noch (?) nicht die Besatzung begeistern kann, bleiben wir noch etwas hier. Der 3 Tage anhaltende „Santa-Rosa-Sturm“ trägt auch nicht dazu bei, unsere Reiselust ins Unermessliche zu steigern. Das permanente Pfeifen im Rigg und der heftige Dauerregen (mal wieder von vorne, nicht von oben!) nervt ungemein. Wir verbringen diese Zeit mehr oder minder an Bord und sind froh, dies an einer (hoffentlich!) sicheren Mooring abwettern zu können. Erstaunlich ist, dass das Barometer zu dieser Zeit seinen derzeitigen Rekordhochstand von 1025 hPa erreicht. Auf nichts kann man sich mehr verlassen…

Aber auch diese betrüblichen Verhältnisse finden mal ein Ende und wir können uns bald wieder auf die Fahrräder setzen und unternehmen eine Radtour entlang des Rio Quequen. Wunderschön schlängelt er sich, wie es sich ja auch für Flüsse gehört, durch die Landschaft. Weite Felder bis zum Horizont und Kumuluswolken, die den Himmel interessant machen, erinnern uns an die norddeutsche Heimat.

Ziel sind dann die „Cascadas“ des Flusses. Diese fallen dann nicht so gewaltig aus, wie der Name es vermuten lässt, aber wir verbringen einen wunderbaren Tag mit sommerlichen Temperaturen in der Natur. Gemeinsam übrigens mit einigen grillbegeisterten Einheimischen, welche sich aber, im Gegensatz zu ihren brasilianischen Nachbaren, dezent und leise am Flussufer verteilen.

Ansonsten sind die Tage geprägt von den zugegebenermaßen eher banal erscheinenden täglichen „Mühen der Ebene“.

Wichtig ist es, den beiden Yachtclub-Hunden „Tito“ und „Wiehießdochgleichnochderandere?“  viel Liebe und ein paar Würstchen regelmäßig zukommen zu lassen. Große Emotionen auf der Gegenseite sind die Folge!

Wichtig ist es ebenfalls, den zweibeinigen Yachtclubmitgliedern gelegentlich ein Bier und (natürlich!) auch Zuneigung entgegenzubringen. Dies fällt uns überhaupt nicht schwer und wir verbringen viel Zeit mit den freundlichen Menschen gemeinsam am Grill und Kamin.

Außerdem versuchen wir wieder einmal die legendäre Corona-Impfung zu erhalten. Wir sind ihr schon ganz nahe, als Nestor (welcher den ganzen Tag hier an seinem Boot arbeitet und unsere Wünsche kennt) uns aufgeregt an Land winkt, uns in sein Auto verfrachtet und zum Impfzentrum fährt. Er hatte anlässlich seiner zweiten Impfung für uns beim Arzt angefragt, welcher eigentlich keine Probleme sah. Nun sitzen wir im Mehrzweckpavillon (Warten, Registrieren, Impfen), freuen uns an den ein- und ausgehenden Straßenhunden (jaja, undenkbar in Deutschland) und sehen uns schon am Ziel unserer innigsten Wünsche. Doch die Realität überholt uns auf einem Nebengleis: „El Jefe vons Ganze“ spricht ein Machtwort und erklärt, dass es an einer festen argentinischen Adresse für die beiden Delinquenten fehlt. So kann man sie nicht in die Impfliste eintragen. Nun ja. Überflüssig zu erzählen, dass weitere Bemühungen Nestors uns eine solche Adresse „zu verschaffen“ zwar viel Zeit kosteten aber wenig Erfolg einbrachten.

Nun ist unser Ehrgeiz allerdings geweckt und wir schreiben dem deutschen Botschafter in Argentinien. Sehr schnell bekommen wir eine freundliche Antwort, in welcher uns viel Erfolg beim Umschiffen der Impfwiderstände gewünscht wird. Mehr kann man jedoch nicht für uns tun. Wir sind froh, dass wir nicht mit einem wirklich vitalen Problem unsererseits den Alltag unseres Mannes in Buenos Aires stören brauchten und machen mal wieder ein Haken hinter diesem Programmpunkt.

Als wichtigen Teil unserer Mission sahen wir es immer an, die kulinarischen Gewohnheiten unserer Gastländer zu erkunden. Mit anderen Worten: Regelmäßige Kneipen- und Restaurantbesuche sind unumgänglich! Unsere Studien für den Nordteil Argentiniens brachten Erstaunliches zum Vorschein.

  1. Wenn uns ca. 19 Uhr der Hunger plagt, sitzt man in den wenigen Restaurants, die durchgehend geöffnet haben, noch bei Kaffee und Kuchen. Zumeist haben die Gaststätten erst ab 20 Uhr geöffnet und auch zu dieser Zeit ist man in der Regel noch alleine hier.
  2. Die überwiegend vegetarisch lebende Besatzung des Segelschiffes Esmeralda hatte flächendeckend gegrillte Fleischberge in den Etablissements erwartet. Jedoch findet sich auf der Speisekarte eher Fertignahrung wie Pizza und Hamburger, was dann schnell etwas Langeweile der Geschmacks-Sinnesorgane hervorruft.
  3. Wunderbarerweise hat hier (anders als in Brasilien) moderne Heiztechnik Einzug in das öffentliche Leben gehalten. Man kann sich sogar die Jacke im Restaurant ausziehen und aufwärmen. Klasse!
  4. Im Rahmen einer aufwändigen randomisierten Doppelblindstudie konnte verifiziert werden, dass das argentinische Bier doch eine Nuance besser schmeckt als das Brasilianische. Es fanden sich zu diesem Zwecke tatsächlich noch Restbestände brasilianischen Bieres in der Esmeralda-Bilge!

So versorgen wir uns zwischendurch wieder mit dem großartigen Gemüse des lokalen Einzelhandels und kochen oft mit Freude an Bord.

Uns schwillt ein wenig der Kamm, als uns Andres bittet, einen kleinen Vortrag vor seinen Segelschülern über unsere Reise zu halten. Und als wenn dies nicht schon reichen würde für die Steigerung unseres Selbstwertgefühles, kommt am nächsten Tage ein uns unbekanntes Paar zum Liegeplatz der Esmeralda gepaddelt und bittet um ein Interview für irgendeine Tageszeitung der Region Buenos Aires. In unserem rudimentären Spanisch gestaltet sich das Gespräch sehr lustig und wir gehen nach zwei unterhaltsamen Stunden als Freunde auseinander.

09. August – 22. August 2021, NECOCHEA

Gute Wind- und Wetterbedingungen treiben unsere Esmeralda an. Sie fliegt förmlich über die Wellen. Liegt es immer noch am pockenfreien Unterwasserschiff? Oder sind wir einfach zulange nicht mehr gesegelt? Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 6 Knoten. 525 Seemeilen schaffen wir in 4 Tagen. Nicht schlecht. Ein Törn ohne große Katastrophen. Dank unserer  -20 Grad tauglichen Schlafsäcke, selbstgestrickten Wollsocken und Mützen (großer Dank nochmal an die Geschenkegeberinnen), Wärmflasche und heißer Tee, sind wir auch nicht erfroren. Bitterkalt war es, davor hatten wir auch am meisten Angst. Jetzt aber Schluss mit dem Gejammer, wir wollten es doch so!
In der Morgensilhouette am 09. August zeigt sich Necochea. Dann die ersten argentinischen Delphine. Sie begrüßen uns freudig.
Auf dem Schiff wird es  langsam unruhig. Die Besatzung ist nervös. Hoffentlich verweist man uns nicht des Landes. Bekanntlich sind die Grenzen ja noch geschlossen und einen Plan B gibt es diesmal nicht.

Vorschriftsmäßig melden wir uns über Funk bei der Prefektura. Keine Antwort.Hört man uns denn nicht? Bei so vielen ankernden Frachtern vor der Hafeneinfahrt ist die Behörde nicht besetzt? Undenkbar. Was nun?
Einstimmig beschließen wir den Hafen auch ohne Genehmigung zu passieren. Nach kurzer Zeit meldet sich unsere Funke.
Nachdem wir die behördlichen Fragen in einem holprigen Spanisch beantworten konnten, bekommen wir die Anweisung, den Rio Quequen Grande  bis zum Yachthafen zu folgen und dort auf weitere Anweisungen zu warten.
Entspannung macht sich in unseren Gesichtern breit. Der erste Fuß ist in der Tür!

Herzlich werden wir von Mitgliedern des Clubs begrüßt. Es waren wohl schon lange keine Besucher mehr da. Einer spricht sogar deutsch. Guillermo hilft uns beim Anlegen an der Besucher-Mooring. Im Anschluß teilt er uns mit, dass wir auf die Gesundheitsbehörde warten müssen.

Rio Quequen Grande

Nach einer guten Stunde bekommen wir dann Besuch. Der gute Mann erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden, misst Fieber und erteilt uns eine 14tägige Quarantäne. Ob wir danach an Land dürfen ist ungewiss und ein Visum derzeit wohl unmöglich zu bekommen, erklärt er uns.
Trotzdem sind wir positiv gestimmt. Wir sind in Argentinien und mal sehen…

Am frühen Morgen bekommen wir Besuch von Guillermo. Er holt unsere Pässe, um sie den Behörden zu bringen. Quarantäne hat auch seine positiven Seiten. Brauchen wir uns nicht mit den Behörden auseinanderzusetzen.
Mit einer guten Nachricht kommt er am Nachmittag zurück.
Wir haben ein Visum für 3 Monate! Eine riesengroße Freude macht sich bei der Besatzung breit.

Viele werden sich sicher fragen: „Was machen die Beiden nur 14 Tage an Bord?“
Die ersten Tage haben wir den fehlenden Schlaf nachgeholt, uns um kleine Reparaturen gekümmert, aufgeräumt, viel gelesen, u.s.w..  Dann waren 9 Tage auch schon um. Unsere Seetage fallen mit in die Quarantänezeit. Das waren dann auf einmal 5 Seetage!

„Und hattet ihr genug zu Essen?“
Ja! Die Bilgen sind immer noch voll. Ausserdem wurden wir von den Mitgliedern des Yachtclubs mit Lebensmittel versorgt. Man kümmerte sich rührend um uns.


Nun ist soweit. Wir dürfen an Land. Wir sind schon sehr gespannt, was uns erwartet.
Die Stadt besteht aus zwei Teilen. Dem eigentlichen Necochea westlich des Rio Quequen Grande und dem Quequen östlich des Flusses, das früher unabhängig war, heute aber zu Necochea gehört.
Wir erkunden erst einmal den östlichen Teil, da hier auch der Yachtclub liegt. Die Runde ist schnell gemacht. Der Ort ist klein, recht ärmlich und hat keine nennenswerten Höhepunkte. In einem Supermarkt und Käseladen kaufen wir ein paar Kleinigkeiten und gehen  zurück an Bord. Am Nachmittag nehmen wir uns das eigentliche Necochea vor. Den westlichen Teil des Flusses.

Die Häuser wirken etwas verfallen und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Die Straßen sind leer. Ein kleiner Baumarkt weckt unsere Aufmerksamkeit. Wir treten ein und kommen mit einem freundlichen Verkäufer ins Gespräch. Er nimmt sich viel Zeit für uns, mag auch daran liegen, dass wir die einzigen Kunden sind. Leider hat er nicht das, was wir suchen. Er empfiehlt einen anderen Laden, bietet sogar an, uns mit dem Auto hinzufahren. Dankend lehnen wir ab. Schließlich ist es die erste Bewegung seit Tagen. Um nicht mit leeren Händen zu gehen, kaufen wir eine Gewindestange.
Leider akzeptiert der Laden keine Kartenzahlung. Bargeld haben wir noch nicht.
Die Gewindestange sollen wir trotzdem mitnehmen und später zum Bezahlen kommen.

Genau zur richtigen Zeit stoßen wir auf ein Café. Uns ist nach einer Pause. Wir treten ein und bestellen Kaffee.  An der Kasse wird uns mitgeteilt, dass unsere Karte nicht funktioniert. Die zweite Karte ist gerade nicht auffindbar. Tja und Bargeld haben wir immer noch nicht.
Für den Angestellten ist das überhaupt kein Problem. Wir sollen uns setzen. Zahlen brauchen wir nicht oder können wir später. Was für eine Freundlichkeit!
Während des Kaffeesierens wird die Sorge um die fehlende Zweitkarte dann doch größer. Am Vormittag haben wir sie noch benutzt. Zuletzt im Käseladen. Da muss sie sein.
Kurzen Zeit später betreten wir, ja richtig geraten, natürlich den Käseladen. Die ganze Belegschaft ist versammelt. Man hat uns schon erwartet, wollte gerade mit dem Yachtclub sprechen.
Dankbar nehmen wir unsere Karte in Empfang. Die Belegschaft ist glücklich und wir sehr erleichtert.
Resümee des Tages:
Quequen und Necochia haben nicht viel Sehenswertes zu bieten, dafür sind wir mal wieder umso überraschter von den Menschen. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist für uns einfach überwältigend.

Bargeld organisiert man sich hier über „Broker“. Die haben weitaus bessere Wechselkurse. Für uns eine neue Erfahrung. Zum Glück ist Yachtclubmitglied Martin ein Broker. Somit haben wir endlich Bargeld und gehen Schulden begleichen.

Ein Abendessen entpuppt sich für uns als Desaster. Wir verzehren wohl Verdorbenes, was uns die Nacht und den darauffolgenden Tag leiden lässt. Noch nie waren wir so krank auf unserer Reise.
Unsere Lebensgeister kehren relativ schnell wieder zurück. Wir wagen einen kurzen Ausflug.
Es geht mit dem Dinghy zur Hafeneinfahrt. Dort befindet sich eine Seelöwenkolonie.
Hunderte Seelöwen tummeln sich am Strand. Es wird geheult und gebrüllt. Bedrohlich wirken die Herren und das zeigen sie uns auch mit ihrer Stimme. Die Jungtiere sind hingegen äußerst neugierig. Sie kommen hergeschwommen, tauchen unter das Dinghy und strecken dann ihre Köpfe unmittelbar neben uns aus dem Wasser. Ein ergreifendes Erlebnis.

Argentinien-Necochea-10

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Seeloewen-Necochea